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Nichts ist so heikel in der katholischen Kirche wie das Göttesbild. Schon bei meiner Schreibweise bekomme ich regelmäßig Korrekturvorschläge. Natürlich ist es nicht nur für die katholische Kirche ein heißes Eisen. In den anderen christlichen Konfessionen wird ebenso über neue Wege das Göttliche zu bezeichnen nachgedacht und sie werden von Menschen mit anderer Gesinnung ebenso heftig bekämpft wie in der katholischen Kirche. Auch unsere monotheistischen Geschwister-Religionen stehen vor demselben Problem wie wir. Es gibt eine sehr schöne Seite mit Informationen zum Jüd*innentum, die diesen Bruch auf ihre Weise zeigt:

Sie schreibt „G+tt“. Wie es sich aussprechen lässt, weiß ich leider nicht.

In einfacher Sprache:

Gott ist ein Wort. Dieses Wort ist männlich. Das finden viele Menschen, z.B. in der Kirche gut. Andere finde es doof, dass es nicht auch weiblich ist. Andere finden, es soll auch divers sein. Alle, die glauben, es gibt nur eine Person im Himmel – Gott – haben ein Problem: muslimische, jüdische, evangelische und katholische Menschen. Es gibt eine jüdische Homepage, die schreibt: G+tt. Das kann ich auch nicht aussprechen.

„Wenn Gott männlich ist, dann ist der Mann göttlich.“

Mary Daly: „Jenseits von Gottvater, Sohn und Co“, Boston 1973 (dt. München 1980)

Ich habe mal den Satz gelesen: „Wenn Gott männlich ist, dann ist der Mann göttlich.“ Das hat Mary geschrieben, sie lebte in Nordamerika.

Auf den ersten Blick freuen sich alle Männer über diesen Satz. Wer würde nicht gerne göttlich genannt? Ich möchte mir den Satz mal auf der Zunge zergehen lassen. Der Mann ist in der Konklusion göttlich. Also ein übernatürliches Wesen, ohne Schmerz, ohne Furcht, ohne das Bedürfnis nach Nähe und Wärme. Verdammt nochmal, genauso sah das patriarchale Männerbild in den 70ern aus: Macho eben. Was heißt hier 70er, solche einsamen „Helden“ huschen auch in den neusten Filmen weiterhin über unsere Leinwände bzw. Bildschirme und direkt in unseren Verstand und unser Herz.

Wenn du ein Mann bist, findest du den Satz bestimmt toll. Möchtest du Gott sein? Gott hat keine Schmerzen. Gott hat keine Angst. Gott braucht keine Wärme und keine Nähe. Vor langer Zeit glaubten viele, genauso sind Männer. Sie sagten Machos zu ihnen. Männer sollten keine Gefühle haben. Leider glauben das immer noch viele Leute. Auch im Kino. Und die, die ins Kino gehen.

Oh je, was für arme, verkümmerte, beschnittene, zur Gewalt gegen sich und andere verurteilte Menschen!

Ich bin traurig, wenn Männer keine Gefühle haben dürfen. Dann können sie nicht richtig leben. Dann tun sie sich selbst weh. Dann tun sie allen anderen auch weh.

Ein Mensch, also auch ein Mann ist ein unbehaartes Säugetier, dass ohne Nähe und Liebe zugrunde geht. Er ist furchtsam und das aus gutem Grund, denn unsere Angst beschützt uns vor Fehlern und rettet unser verwundbares Leben. Der Mann leidet Schmerzen; je älter er wird, desto mehr. Und er wünscht sich Trost und Heilung, wenn er Schmerzen leidet. Der Mann ist ein natürliches Wesen mit natürlichen Bedürfnissen wie Schlaf, Nahrung, Schutz, Sicherheit, Freiheit, Leidenschaft, …

Menschen also auch Männer können ganz leicht sterben. Männer brauchen Schutz und Liebe. Männer brauchen Medizin und Trost. Männer brauchen Schlaf und Essen. Männer brauchen frei sein und noch ganz viel.

Ich empfinde es als Grausamkeit gegen den männlichen Teil der Menschheit, wenn er als „göttlich“ gebrandmarkt und zu einem unmenschlichen Leben verurteilt wird.

Es ist gemein, zu einem Mann zu sagen, dass er Gott ist. Ein Gott ist kein Mensch. Ein Mann ist ein Mensch.

Wenn die Konklusion in unserem Zitat also nicht stimmt, dann kann die Prämisse, die Voraussetzung auch nicht richtig sein! Und genau das ist Mary Dalys Aussage:


Gott ist nicht männlich!

*

Also ist es falsch. Ein Mann ist kein Gott. Und Gott ist kein Mann. Gott ist nicht männlich.

Nun haben wir im Deutschen ein Problem, denn jedes Wort in unserer Sprache ist irgendetwas: weiblich, sächlich, männlich.

Das ist nicht einfach.

Alice Walker löst das Problem in ihrem wundervollen Buch „Die Farbe Lila“ auf ihre Weise:

Alice sagt:

Es? frag ich. Jaja, Es. Gott is nich ein Er oder eine Sie, sondern ein Es. Aber wie sieht Es aus frag ich. Sieht nich wie irgendwas aus, sagt sie. Is doch kein Kino.

Alice Walker: „Die Farbe Lila“, New York 1983 (dt. Hamburg 1984)

Die beiden Protagonistinnen, Celie und Shug, die sich lieben, sprechen am Wendepunkt des Romans über ihr Verhältnis zum Göttlichen, entlarven wunderbar den Rassismus des Christ*innentums

Celie und Shug sind zwei Frauen und haben sich lieb. Sie haben eine dunkle Hautfarbe. Es ist sehr gemein, Menschen schlecht zu behandeln, weil sie eine dunkle Hautfarbe haben.

Shug! sag ich, Gott hat die Bibel geschrieben, die Weißen haben da nix mit zu tun gehabt. Und wieso sieht er dann genauso aus wie die? sagt sie. Nur größer? […] Wie kommts denn, daß die Bibel genauso is wie alles andere, was die machen. Immer, wie sie dies tun und das tun, und das einzige, was für die Farbigen bleibt, is daß sie verflucht werden. […] Die Bibel lesen und glauben, Gott is nich weiß, das geht nie und nimmer, sagt sie. Dann seufzt sie. Wie ich rausgefunden hab, daß Gott weiß is und ein Mann, da hab ich das Interesse verloren. Du bist sauer, weils aussieht, wie wenn er nich auf deine Gebete hört. Hört der [weiße] Bürgermeister darauf, was die Farbigen sagen? […] Ich weiß, daß Weiße nie auf die Farbigen hören. Punktum. Wenn sies tun, dann hören sie dir nur so lange zu, daß sie dir sagen können, was du tun musst.

Alice Walker: „Die Farbe Lila“, aaO, eine Seite vorher. Das Buch spielt zwischen den beiden Weltkriegen im Süden der USA.

und kommen zu einem ganz eigenen, sehr persönlichen und liebevollem Göttesbild.

Im englischsprachigen Raum wurde das Problem „godness“ und „god“ mit dem Kunstwort „godn“ gelöst. Ich benutze oft, vor allem beim Umtexten von Liedern, die nur eine Silbe zuließen, „Gött“. Meine Schüler*innen haben auf unser Plakat für eine neue Kirche geschrieben: „Gött nicht vergessen!“

Bildnachweis: Maria 2.0

Der Vorteil dieses Kunstwortes ist auch, dass es kein klares Genus hat, also sie, es und er sein kann. Der Nachteil – sehr relevant bei einem Göttesbild – ist, dass die Identifikation gebrochen wird durch ein Wort, das uns nicht vertraut ist.

Das Göttliche soll etwas Vertrautes, ja familiäres sein. Jesu Anrede für Gött „Abba“ = „Papi“ war nicht von ungefähr gewählt. Leider tradiert es als Vaterbild eine männliche Vorstellung und ist z.B. für Überlebende von sexualisierter Gewalt durch den eigenen Vater oder durch Priester, die sich Vater nennen lassen, eher ein Schreckensbild als eine Vertrauensperson.

Unsere Bibel ist weitestgehend „wirklich katholisch“, wie ich es auf der Startseite beschreibe. Sie ist sehr umfassend. Daher erstaunt es nicht, dass wir verschiedenste weibliche Göttesbilder in der Heiligen Schrift finden:

Hos 11,9: Ich bin Gött und nicht Mann!, [Patriarchal wird hier übersetzt: „Ich bin Gott und nicht Mensch“, obwohl im Hebräischen Text das Wort „Isch“ steht, dass eindeutig Mann heißt und in der Frau = Ischa sein Pendant hat. Luther übersetzt in Treue zum hebräischen Text: Mann und Männin für Isch und Ischa.]

Hos 11,1-4 : Das Göttliche wirbt um Israel und erinnert an die erwiesenen Liebesbeweise: Ich habe dich auf den Armen getragen (kann auch ein Vater) und habe dich an meiner Brust gestillt (kann nur eine Mutter). [In der patriarchalen Übersetzung wird das Stillen getilgt: „Ich neigte mich zu ihm und gab ihm zu essen.“(Hier Luther-Übersetzung)]

Die göttliche Weisheit finden wir im Buch der Sprüche auch im Ersten Testament. In Spr 8 wird diese Person aus patriarchalen Gründen gerne als spielendes Kind übersetzt. In Wahrheit ist sie in Treue zum hebräischen Text eine sich bei der Schöpfung entschleiernde, göttliche, personifizierte Weisheit also die Göttin Weisheit = Chokmah (hebr.).

Das sind ein paar Beispiele, die zeigen, wie viel diverser das Göttesbild unserer Ahn*innen war, das sie uns überliefern wollten.

Es bleibt unser Wunsch nach einem gerechten Namen für das Göttliche, der persönlich ist also eine Person benennt und damit eine Beziehung möglich macht.

Himmelskönigin Hochaltar im Stefans Dom
in Wien 2022, Foto M B-K

Mir selbst ist das Göttliche als Freundin, als Göttin am nächsten. In meinen Texten variiere ich zwischen Göttin/Gott/Göttliches. In Begriffen setzte ich gerne die ö-Striche, um das einseitig männliche Göttesbild aufzubrechen, wie z.B. Göttesdienst.

Ich kann gut verstehen, dass unterschiedliche Menschen, die vielleicht 50 Jahre oder länger ein enges Verhältnis zu Gott aufgebaut haben, sich von gendergerechten Namen wie Göttin oder Göttliches abgestoßen fühlen.

Es ist eben nicht nur Sprache, die da geändert wird. Als Sprachphilosophin weiß ich, dass unsere Sprache unser Denken und unsere Sicht auf die Welt prägt. Was wir nicht mit Worten benennen können, das erkennen wir auch nicht. Zwar können wir auch in Bildern denken, wenn wir einen Gedanken aber fassen wollen, müssen wir ihn in Worte fassen, Begriffe benutzen und sind komplett auf die Sprache angewiesen.

Steht uns nur eine patriarchale Sprache zur Verfügung, dann denken wir auch patriarchal. Es erscheint uns dann als „natürlich“.

Luise Pusch, eine geniale Linguistin mit einem sehr schönen Humor, schrieb in den 90er Jahren, dass wir mindestens zweihundert Jahre rein weiblich sprechen müssten, bevor wir zu einer neutralen oder gleichberechtigten Sprache kommen könnten.

Heute würden wir weitere zweihundert Jahre rein divers ergänzen und können nach 400 Jahren erstmals wieder männliche Bezeichnungen benutzen, um Personen zu benennen.

Das griechische Wort für das Göttliche bietet mehrere Geschlechter an: Thea und Theos. Somit ist Theodora das Geschenk Gottes und Dorothea das Geschenk Göttins. Konsequenterweise spreche ich hier sowohl von Thealogie als auch von Theologie. Das ist keine inhaltliche Veränderung. Die patriarchale Sprache, das generative Maskulin, nimmt für sich in Anspruch als allgemeine Form alle anderen Formen so zusagen versteckt in sich zu vereinigen. „Der Lehrer“ steht also für das (diverse) Lehrende genauso wie für die Lehrerin, also für alle Personen, die lehren. „Gott“ steht also für Göttliches genauso wie für Göttin. Inhaltlich ändert sich folglich nichts, wenn ich gegendere:

Gött*in.