Die Kirchengeschichte strotzt nur so von Verfolgungen. Jesus wurde verfolgt und ermordet. In der jungen Kirche wurden die Apostol*innen verfolgt und teilweise ermordet. In den ersten drei Jahrhunderten wurden viele Gläubige verfolgt und manche ermordet. Mein Namenspatron, der Heilige Martin von Tours ist der erste Heilige, der kein Märtyrer war. Darauf bin ich stolz und auch darauf, dass er aus christlicher Überzeugung den Kriegsdienst aufgegeben hat, obwohl er Sohn einer Offiziersdynastie im römischen Reich war.
Das wäre doch toll, wenn alle Christ*innen heute in Russland und in der Ukraine die Waffen niederlegen würden aus christlicher Überzeugung. (26.2.2022)
Ab dem vierten Jahrhundert wird das Christ*innentum zur römischen Staatsreligion und nun kehrt sich die Verfolgung um: Ab diesem Zeitpunkt verfolgt die Kirche!
Aus den Verfolgten um des Glaubenswillen werden die Verfolger*innen um der Macht willen.
Jüd*innen werden verfolgt. Konvertit*innen, die sich wieder umentscheiden, werden verfolgt. Katarer*innen werden verfolgt, weil sie zu frei gedacht haben – vielleicht auch, weil sie Frauen zu viele Rechte gaben und mehr auf die Berufung zur „Perfecta“ achteten als auf das Geschlecht. Muslim*innen werden verfolgt. Nach der Reformation verfolgen und ermorden sich alle christlichen Konfessionen gegenseitig.
Und heute? Hach, zum Glück haben wir das alles hinter uns gelassen!
Weit gefehlt. Christ*innen werden von ihren eigenen Kirchen verfolgt, weil sie z.B. in die falsche Person verliebt sind und eine Beziehung führen. Und auch da tun sich die Konfessionen nicht viel.
Kinder werden durch sexualisierte Gewalt verfolgt, in der Sakristei, im Religionsunterricht. Überlebende von sexualisierter Gewalt durch Priester etc. werden mit Anschuldigungen, Verleumdungen und Rufschädigung verfolgt.
Frauen werden verfolgt, als „Hexen“, als „illegale“ Priesterinnen, als Furien, als Xanthippen.
Personen der LGBTQ+-Community werden verfolgt.
Beim Schreiben fällt mir auf, dass die verfolgten Gruppen durch die Kirche eine große Schnittmenge bilden mit den verfolgten Gruppen durch die Täter*innen des Nationalsozialismus‘.
Manchmal höre ich auch Aussprüche wie: ‚Die katholische Kirche ist faschistoid.‘ Wo das war, weiß ich nicht mehr. Ob es stimmt, kann jedes selbst für sich entscheiden.
Natürlich sind auch weiterhin Christ*innen von Nicht-Christ*innen und auch von Christ*innen verfolgt worden,
wenn sie sich auf die Seite der Schwachen einer Gesellschaft gestellt haben, (z.B. St Oscar Romero)
wenn sie missionieren wollten, (z.B. St Bonifatius)
wenn sie sich Unrechtssystemen entgegengestellt haben, (z.B. Seeliger Nikolaus Groß)
wenn sie jüdische Vorfahr*innen hatten, (z.B. St Edith Stein)
wenn sie das Beichtgeheimnis geschützt haben, (z.B. St Nepomuk)
wenn sie sich ihre Ehepartner*innen selbst aussuchen wollten, (z.B. St Ursula)
wenn sie asexuell (= keusch) leben wollten, (z.B. St Agnes)
und und und …
Auch ich habe Angst vor Verfolgung – durch die katholische Kirche. Heinrich Heine schrieb in seiner Zeit von der „Schere im Kopf“ und meinte damit die eigene Vorzensur, die durch die staatliche Zensur hervorgerufen wurde. Um den eigenen Text ohne Verfolgung veröffentlichen zu können, haben Autor*innen viel Kritisches nicht geschrieben, obwohl sie es dachten.
So geht es auch mir. Als ich die Seite zu Sakramenten eingerichtet hatte, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass die katholische Kirche sehr streng ist mit ihrer Sakramententheologie und dass ich gut aufpassen müsse, was ich da schreibe….
Ist das nicht schrecklich? Ständig wird Angst verbreitet.
Angst essen Seele auf.
Rainer Werner Fassbenders gleichnamiger Film, 1974 über Rassismus in Deutschland und die Folgen für die Migrant*innen.
fällt mir dazu ein und es stimmt!
Eigentlich habe ich mich entschieden, zu alt zu sein, um Angst zu haben und mein Leben von der Angst vor Intoleranz und Menschenverachtung leiten zu lassen. Ihr werdet lesen, wie weit mein Mut reichen wird und wo mich die Verfolgung bremst…
Sa, 26.2.2022
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